Die globale Lieferkette wurde im vergangenen Jahr durch Überschwemmungen dramatisch beeinträchtigt. Auf allen Kontinenten kam es zu schweren Ereignissen, die zu erheblichen Schäden an der Infrastruktur, zu Verkehrsbeeinträchtigungen (Straße, Schiene, Luft und Seehäfen) und zu verheerenden gesellschaftlichen Auswirkungen – Todesfälle und Verlust von Wohnraum und Unternehmen – führten.
Wie sieht es auf der anderen Seite des Spektrums aus? Überschwemmungen machen eher Schlagzeilen, da es sich in der Regel um kurzfristige Ereignisse mit weitreichenden Folgen handelt. Dürren hingegen entwickeln sich über längere Zeiträume hinweg. Auch wenn der Zeitrahmen unterschiedlich ist, können die Auswirkungen ebenso gravierend sein.
Während wir auf der Nordhalbkugel vom Winter in den Frühling und auf der Südhalbkugel vom Sommer in den Herbst übergehen, gibt es zahlreiche Gebiete, die unter starker Trockenheit (Dürre) leiden. Die Tragweite dessen deutet sich schon jetzt an – insbesondere auf der Südhalbkugel. Auch auf der Nordhalbkugel sind bereits einige Auswirkungen zu spüren, doch größere Sorgen bereiten die noch folgenden Konsequenzen auf die Lieferkette während der bevorstehenden warmen Jahreszeit – Frühling und Sommer.
Hier sind einige der „Hotspots“, die wir beobachten:
Brasilien
Das größte Land Südamerikas ist einer der bedeutendsten Agrarproduzenten der Welt. In weiten Teilen Brasiliens kam es in den Sommermonaten zu Hitzewellen und unterdurchschnittlichen Niederschlägen. Der Zeitraum von Dezember bis Februar ist die Hauptsommerzeit auf der Südhalbkugel. Die trockensten Bedingungen herrschten im Südosten des Landes. Die Ergebnisse der extremen Hitze und Trockenheit der letzten Zeit sind in der folgenden Grafik dargestellt.
Abbildung 1 – Bodenfeuchte-Perzentile in den letzten 22 Jahren in der Dürre-Hotspot-Region Brasilien
Diese Grafik zeigt die prozentualen Erdfeuchtewerte (basierend auf historischen Daten) in dem obersten einem Meter des Erdbodens. Der Bodenfeuchtegehalt ist der wahre Maßstab für Trockenheit, da er das Endergebnis extremer Trocken- und Hitzeperioden ist. Diese Erdbodentiefe (ein Meter) ist entscheidend für die Entwicklung der Pflanzen, für hydrologische Bedingungen wie den Wasserstand von Flüssen und Stauseen sowie für die Wasserressourcen für Menschen und Industrie (z. B. für die Fertigung).
Wie zu sehen ist, liegen die aktuellen Erdbodenfeuchtigkeitswerte bei den niedrigsten 10 Prozent aller Jahre; die gesamte Datenbank reicht bis ins Jahr 1948 zurück. Der prozentuale Bodenfeuchtigkeitsgehalt ist auf der y-Achse dargestellt. Die akutesten Bedingungen herrschen im Südosten des Landes, einschließlich der Bundesstaaten São Paulo, Paraná und Minas Gerais.
Betrachtet man den aktuellen Wochenwert (Woche 11), so ist die Bodenfeuchtigkeit in diesem Gebiet so niedrig wie seit Ende März 2003 nicht mehr. In der Landwirtschaft hat die extreme Trockenheit die Entwicklung der Spätsommerkulturen Kaffee, Zuckerrohr und Zitrusfrüchte beeinträchtigt, die im Südosten Brasiliens angebaut werden. Die Belastung der Pflanzen wird sich negativ auf den Ertrag dieser Saison auswirken. Die anhaltende Situation ist einer der vielen Gründe für die hohen Kaffeepreise, da Brasilien der weltweit größte Kaffeeproduzent ist. Im nichtlandwirtschaftlichen Bereich hat die akute Trockenheit die Wasserressourcen für die Wasserkraft, die Industrie und die Trinkwasserversorgung stark belastet.
Südwesten USA/Nord-Mexiko
In der nördlichen Hemisphäre hat sich eine Region mit hoher Dürregefahr im Südwesten der USA und im Norden Mexikos entwickelt. Dieses Gebiet leidet seit letztem Herbst unter extremer Trockenheit und die Auswirkungen sind bereits in vielen Bereichen zu spüren, darunter Landwirtschaft, Viehzucht und Fertigung.
Abbildung 2 – Bodenfeuchte-Perzentile der letzten 22 Jahre in der Dürre-Hotspot-Region im Südwesten der USA und im Norden Mexikos
Die Erdbodenfeuchtigkeitswerte in diesem Gebiet sind die zweitniedrigste für diese Jahreszeit (elfte Woche oder Ende März) seit 2003. Die Konsequenzen reichen von Ernteausfällen (Wintermais im Norden Mexikos) über Viehzucht (erheblich schlechtere Weidebedingungen) bis hin zu den Wasserressourcen (ungewöhnlich niedrige Pegelstände der Stauseen und die Schneedecke in den Bergen im Südwesten der USA).
Die Sorge für die Zukunft ist, dass diese übermäßig trockenen Gebiete später im Frühjahr und im Sommer zu einer regelrechten Hitzequelle werden könnten, insbesondere in höheren Plateaugebieten wie dem Südwesten der USA und Nordmexiko. Eine weitere Sorge ist die Ausbreitung der derzeitigen Trockenheit auf den Westen der USA (Auswirkungen auf die Wasserressourcen) oder ins Zentrum (das Herz der US-Agrarproduktion). Dieser Bereich muss im kommenden Frühjahr/Sommer genau beobachtet werden.
Europa
Europa, insbesondere die zentralen und östlichen Regionen, hat einen sehr trockenen Winter hinter sich. Dies hat zu einem Rückgang der Bodenfeuchte auf ein historisch niedriges Niveau geführt. Die aktuellen Daten (11. Woche bzw. Ende März) zeigen, dass dies europaweit der drittniedrigste Wert seit 2003 ist.
Abbildung 3 – Bodenfeuchte-Perzentile in den letzten 22 Jahren in den Dürre-Hotspots Europas
Auf regionaler Ebene ist Mittel- und Osteuropa die Region, die zu Beginn der „warmen Jahreszeit“ die trockensten Bedingungen aufweist. Die Karte unten zeigt die Bodenfeuchte-Perzentile auf dem gesamten Kontinent. Dabei wird die Bodenfeuchte als die obersten 1 Meter des Bodens definiert, und die Perzentile basieren auf dem Zeitraum 1948–2012. Die roten Farben stehen für eine überdurchschnittlich trockene Bodenfeuchte, die blauen Farben für eine überdurchschnittlich feuchte Bodenfeuchte. Wie zu sehen ist, ist die aktuelle Situation durch extrem niedrige Bodenfeuchtewerte in ganz Mittel- und Osteuropa einschließlich der Schwarzmeerregion gekennzeichnet.
Abbildung 4 – Karte mit den Bodenfeuchte-Perzentilen in den Dürre-Hotspots Europas
Die Aussaat der Sommerkulturen hat gerade begonnen. Der Bodenfeuchteverlust ist derzeit noch kein Problem, wird aber schnell zu einem werden, wenn es in den trockensten Gebieten in diesem Frühjahr nicht reichlich regnet. Da der Feuchtigkeitsbedarf der Pflanzen im Laufe des Frühjahrs steigt, muss dieser Bereich besonders beobachtet werden. Diese Region (Mittel- und Osteuropa sowie die Schwarzmeerregion) ist eines der am dichtesten angelegten Landwirtschaftsgebiete der Welt und eine Beeinträchtigung der Produktion würde international erhebliche Folgen mit sich ziehen.
Große Trockengebiete sind aufgrund der fehlenden Verdunstungskühlung häufig Brutstätten für Hitze. Wenn die Trockenheit in diesem Gebiet anhält, stellt dies ein großes Risiko für die Erträge dar. Der Flussverkehr auf wichtigen Routen wie dem Rhein und der Donau muss ebenfalls genau beobachtet werden, da die Pegelstände derzeit unter dem Normalwert liegen.
Diese drei „Hotspots“ sind nicht die einzigen Bereiche, die künftig beobachtet werden müssen, aber sie sind wichtige Faktoren und Einflussgrößen in der globalen Lieferkette. Die Auswirkungen auf die Landwirtschaft, die bereits in Brasilien und Mexiko zu spüren sind, und auf die Energieversorgung (Wassermangel für die Stromerzeugung aus Wasserkraft) bilden sich bereits an einem Teil der end-to-end Lieferkette in diesen Regionen ab. Zu den möglichen längerfristigen Auswirkungen zählen eine höhere Wahrscheinlichkeit von Hitzewellen während der kommenden warmen Jahreszeit in Teilen der USA und Europas, Probleme mit den Wasserressourcen, Verzögerungen beim Transport, weiterreichende Folgen für die Landwirtschaft usw. Es versteht sich von selbst, dass die Regionen mit erhöhtem Dürrerisiko in den nächsten Monaten genau beobachtet werden müssen.
Jon Davis
Jon Davis leitet als Chefmeteorologe das Wetter- und Klimateam von Everstream Analytics. Mit über 35 Jahren Erfahrung gilt er weithin als einer der führenden Experten für die Auswirkungen von Wetter und Klima auf globale Rohstoffe und Unternehmen.